Fahrradfahrer neben LWK beim Abbiegen

Fahrradfahrer neben LWK beim Abbiegen © ADFC/Jens Lehmkühler

Verkehrssicherheitsbericht 2019

Der soeben veröffentlichte Verkehrssicherheitsbericht 2019 der Polizeidirektion Lübeck zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie gefährlich Lübecks Radwege für ihre Benutzer sind. 632 Fahrrad- und Pedelec-Unfälle wurden 2019 polizeilich erfasst.

Stellungnahme des ADFC zum Verkehrssicherheitsbericht der Polizeidirektion Lübeck

„Lübecks Bürgerinnen und Bürger müssen die Möglichkeit haben, alle innerstädtischen Ziele und alle Nachbargemeinden sicher, angstfrei, und komfortabel mit dem Rad zu erreichen, wenn sie dies möchten.“ Mit diesem Satz beginnt die erste der 10 Forderungen des ADFC Lübeck für eine nachhaltige Förderung des Radverkehrs. Der soeben veröffentlichte Verkehrssicherheitsbericht der Polizeidirektion Lübeck für das Jahr 2019 zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie weit Lübeck von diesem Ziel noch entfernt ist.

Steigende Unfallzahlen

632 Fahrrad- und Pedelec-Unfälle wurden 2019 polizeilich erfasst, das sind 34 mehr als im Vorjahr und der höchste Wert seit 2009. Bei fast allen erfassten Radunfällen wurden Radfahrende verletzt, 4 wurden getötet, das ist die höchste Zahl seit 2006. 2013 hatte der Runde Tisch Radverkehr das Ziel formuliert, bis 2020 den Anteil des Radverkehrs an allen Wegen auf 25% zu steigern, und gleichzeitig die Zahl der verunglückten Radfahrer gegenüber dem Stand von 2011 (561 Verunglückte) zu halbieren. Stattdessen ist die Zahl der verunglückten Radfahrer gegenüber 2011 um 13% gestiegen. Worin liegen die Ursachen?

Keine Besserung in Sicht

Radfahren verbessert die Gesundheit und steigert die Lebenserwartung, es entlastet die Umwelt, und es ist sowohl für die öffentliche Hand als auch für die Verkehrsteilnehmer sehr kostengünstig. Seit einigen Jahren werden die Stimmen aus Medien, Politik, und Verwaltung lauter, die sich für eine gezielte Förderung des Radverkehrs einsetzen – auch in Lübeck. Diese Entwicklung ist grundsätzlich sehr positiv zu bewerten. Leider führen diese Äußerungen bisher fast nirgends zu echten Verbesserungen der gebauten Wirklichkeit. Sogar von elf Umbauten oder Neubauten von Radwegen aus den letzten zwei Jahren erfüllte lediglich der neue Weg entlang der Travemünder Landstraße in jeder Hinsicht die Anforderungen der verbindlichen technischen Regelwerke; alle anderen verfehlten diese Anforderungen mehr oder weniger deutlich, oder sie kollidierten – wie im Fall der Roeckstraße – mit den Bedürfnissen der potenziellen Nutzerinnen und Nutzer.

 

Nichteinhaltung der Regelwerke steigert das Unfallrisiko

Schon vor Jahren hat die Bundesanstalt für Straßen- und Verkehrswesen in einer ausführlichen Untersuchung nachgewiesen, dass die Nichteinhaltung der technischen Regelwerke das Unfallrisiko für Radfahrende steigert. Vor diesem Hintergrund ist – neben den stark wachsenden Verkaufszahlen – die deutlich zunehmende Beteiligung von Pedelecs am Unfallgeschehen zu interpretieren. So hat auf Lübecks schmalen und unebenen Wegen die Zahl der Stürze drastisch zugenommen; auch zwei der vier tödlichen Unfälle waren Alleinunfälle mit Sturz, in beiden Fällen waren beträchtliche Mängel an der Wegeinfrastruktur vorhanden. Deutlich abgenommen haben dagegen die Unfälle aufgrund von Linksfahren und unter Alkoholeinfluss. Insgesamt waren 41% der Radunfälle mit mehreren Beteiligten durch die Radfahrenden verursacht, 59% durch ihre Unfallgegner.

Fast alle Lübecker Radwege müssen grundlegend saniert werden

Die Hansestadt Lübeck hat sich zum Ziel gesetzt, im Rahmen ihres Klimaschutzprogramms den Radverkehrsanteil an allen Wegen bis 2030 zu verdoppeln. Dieses Ziel erscheint grundsätzlich erreichbar, jedoch nur wenn bis zu diesem Zeitpunkt die Radfahrbedingungen in Lübeck von den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern ohne Einschränkung als gut angesehen werden. Tatsächlich werden zurzeit Lübecks Radwege in den Kategorien Sicherheit und Komfort durchschnittlich mit „mangelhaft“ benotet. Angesichts jahrzehntealter Qualitätsmängel müssen im genannten Zeitraum fast alle Radwege grundlegend saniert und konsequent den geltenden Bestimmungen angepasst werden. Wo dies nicht möglich ist, müssen z.B. durch geschützte Fahrbahnführungen oder Verkehrsverlagerungen sichere und attraktive Alternativen geschaffen werden. Dieses Programm entspricht einem erforderlichen Um- oder Neubauvolumen von rund 20 Kilometern jährlich.

 

Rücksichtsloses Verhalten nimmt zu

Neben der Baubehörde sind aber auch die Ordnungsbehörden gefragt. Unfallflucht und aggressives Verhalten im Straßenverkehr nehmen nach dem Polizeibericht deutlich zu. Geh- und Radwege oder Radspuren werden regelmäßig zum Abstellen von Kraftfahrzeugen genutzt, ohne dass ein behördliches Eingreifen in nennenswertem Umfang wahrnehmbar ist. Ebenso wenig wird bislang die Einhaltung des seitlichen Sicherheitsabstandes beim Überholen von Radfahrenden kontrolliert. All dies gefährdet Radfahrende; mindestens genauso schlimm ist es, dass hierdurch zahlreiche Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt daran gehindert werden, regelmäßig Rad zu fahren – mit allen daraus erwachsenden nachteiligen Konsequenzen. Deutschlandweit verzichtet jeder Sechste auf das
Radfahren, weil es ihm zu gefährlich erscheint; anhand der Qualitätsbewertungen und auch von Gesprächen ist anzunehmen, dass dieser Anteil in Lübeck noch höher liegt.

Tödliche Rechtsabbiege-Unfälle

Schließlich sei noch an die beiden tödlich verletzten Pedelec-Fahrerinnen erinnert, die von rechtsabbiegenden Schwerfahrzeugen überrollt wurden. Bundesverkehrsminister Scheuer versucht zurzeit einen EU-Beschluss zu erwirken, welcher den Kommunen die Möglichkeit einräumt, das Rechtsabbiegen von Lkw ohne Abbiegeassistent zu verbieten. Falls dieser Beschluss gefasst wird wäre Lübeck gut beraten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Jede andere Entscheidung wäre dann völlig unverständlich.

Der ADFC würde sich freuen, wenn diese Vorschläge von den Entscheidungsträgern aufgegriffen und umgesetzt werden. Für Gespräche steht der Kreisverband gern zur Verfügung.

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https://luebeck.adfc.de/artikel/verkehrssicherheitsbericht-2019

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 190.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die AFDC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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  • Was ist der Unterschied zwischen Pedelecs und E-Bikes?

    Das Angebot an Elektrofahrrädern teilt sich in unterschiedliche Kategorien auf: Es gibt Pedelecs, schnelle Pedelecs und E-Bikes. Pedelecs sind Fahrräder, die durch einen Elektromotor bis 25 km/h unterstützt werden, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. Bei Geschwindigkeiten über 25 km/h regelt der Motor runter. Das schnelle Pedelec unterstützt Fahrende beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h. Damit gilt das S-Pedelec als Kleinkraftrad und für die Benutzung sind ein Versicherungskennzeichen, eine Betriebserlaubnis und eine Fahrerlaubnis der Klasse AM sowie das Tragen eines Helms vorgeschrieben. Ein E-Bike hingegen ist ein Elektro-Mofa, das Radfahrende bis 25 km/h unterstützt, auch wenn diese nicht in die Pedale treten. Für E-Bikes gibt es keine Helmpflicht, aber Versicherungskennzeichen, Betriebserlaubnis und mindestens ein Mofa-Führerschein sind notwendig. E-Bikes spielen am Markt keine große Rolle. Dennoch wird der Begriff E-Bike oft benutzt, obwohl eigentlich Pedelecs gemeint sind – rein rechtlich gibt es große Unterschiede zwischen Pedelecs und E-Bikes.

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  • Gibt es vom ADFC empfohlene Radtouren für meine Reiseplanung?

    Wir können die Frage eindeutig bejahen, wobei wir Ihnen die Auswahl dennoch nicht leicht machen: Der ADFC-Radurlaubsplaner „Deutschland per Rad entdecken“ stellt Ihnen mehr als 165 ausgewählte Radrouten in Deutschland vor. Zusätzlich vergibt der ADFC Sterne für Radrouten. Ähnlich wie bei Hotels sind bis zu fünf Sterne für eine ausgezeichnete Qualität möglich. Durch die Sterne erkennen Sie auf einen Blick mit welcher Güte Sie bei den ADFC-Qualitätsradrouten rechnen können.

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