Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Lübeck e. V.

Das Foto zeigt die Fahrradspur mit einer Ausfädelungsstelle für Abbieger in die Ziegelstraße

Fackenburger Allee Verkehrsversuch: eine ganze Fahrspur für Radfahrer © MBR/ADFC Lübeck

Fackenburger Allee: Abschlussbilanz des ADFC zum Verkehrsversuch

Die lange erwartete Auswertung der Hansestadt Lübeck zum Verkehrsversuch Fackenburger Allee liegt jetzt vor. Wir zeigen in unserer abschließenden Stellungnahme sowohl die Stärken als auch die Schwächen der im Versuch angewendeten Verkehrsführung auf.

Vom 22. Juli bis zum 5. Dezember 2022 wurde die Verkehrsführung in der Fackenburger / Krempelsdorfer Allee (Abschnitt Schwartauer Allee – Friedhofsallee) im Rahmen eines Verkehrsversuchs grundlegend verändert. Für den individuellen Kfz-Verkehr blieb in dieser ersten Phase ein Fahrstreifen je Richtung; die rechten Fahrstreifen von jeweils 3,25 m Breite teilten sich Radfahrer*innen und Linienbusse. 

Diesen Versuch hat der ADFC aus zwei Gründen begrüßt:

  • Die Verbindung Stockelsdorf – Holstentor hat ein hohes Radfahrpotenzial, weil die Distanz zwischen dem Rathausmarkt in Stockelsdorf und dem Lübecker Kohlmarkt nur 3,6 Kilometer lang ist, und weil die angrenzenden Bereiche dicht bebaut sind. Dieses Potenzial wurde bisher nur wenig genutzt, weil die Radwege entlang der Fackenburger / Krempelsdorfer Allee auch im Vergleich zu anderen Lübecker Radwegen sehr schlecht sind.
  • Seit einigen Jahren versucht die Hansestadt Lübeck, defizitäre Radwege durch ungeschützte Fahrbahnführungen zu ersetzen. Der ADFC sieht diese Entwicklung skeptisch, weil große Studien belegen, dass die meisten Radfahrenden an Hauptstraßen geschützte Führungen (also Radwege oder geschützte Radstreifen) bevorzugen. Gemeinsame Fahrstreifen für Radfahrende und Busse sind zwar in den geltenden Leitlinien vorgesehen; größere Anwendungsstudien fehlen aber bisher. Es lag daher nahe, die Eignung einer solchen Führung zu überprüfen.

Evaluation mithilfe OpenBikeSensoren

Der ADFC war frühzeitig an der Versuchsplanung beteiligt; der Schwerpunkt unserer Aktivitäten lag in der Evaluation. Die Evaluationsfahrten fanden auf der Verkehrsversuchsstrecke (Teilabschnitt Ziegelstraße – Friedhofsallee) statt; zum Vergleich evaluierten wir aber auch die Beeinträchtigungen auf drei Referenzstrecken im Verlauf der Roeckstraße (Mischverkehr 30 km/h), der Hansestraße (Mischverkehr 50 km/h), und des Mönkhofer Wegs (Schutzstreifen 50 km/h). Auf diesen Strecken erfassten wir Beeinträchtigungen durch parkende Kraftfahrzeuge und durch Busse. Weiter erfassten wir mithilfe von OpenBikeSensoren (Ultraschall) Überholvorgänge mit einem Seitenabstand unter 1,50 Meter (Vorgabe der StVO); auch diese Messungen fanden im Verkehrsversuch und auf den genannten Referenzstrecken statt. Im Verkehrsversuch untersuchten wir außerdem das Nutzungsverhalten der Radfahrenden.

Bis zum 5. Dezember 2022 haben wir 2.948 Überholvorgänge in den genannten Bereichen erfasst. Von diesen Überholvorgängen betreffen 1.402 den Verkehrsversuch und 1.546 die von uns zuvor definierten Referenzstrecken. 

Der Anteil der kritischen Überholvorgänge (Abstand < 1,50 m) an allen Überholvorgängen durch Kraftfahrzeuge lag im Verkehrsversuch bei 11% und damit weit niedriger als in der Roeckstraße (53%), der Hansestraße (58%), und dem Mönkhofer Weg (74%). Bezogen auf die zurückgelegte Strecke waren Radfahrende je Kilometer im Verkehrsversuch und in der Roeckstraße jeweils 5 kritischen Überholvorgängen ausgesetzt, in der Hansestraße und dem Mönkhofer Weg lag diese Rate mit 7 bzw. 13 kritischen Überholvorgängen je Kilometer deutlich höher. Nach Abschluss des Verkehrsversuchs haben wir die Abstandsmessungen systematisch auf andere Straßen erweitert. Im Ergebnis waren auch auf diesen Straßen die Überholvorgänge überwiegend ordnungswidrig; lediglich in der Kanalstraße im Abschnitt zwischen Rosenpforte und Fleischhauerstraße war der Anteil korrekter Überholvorgänge ähnlich hoch wie im Verkehrsversuch.

Busse und parkende Kfz

Wir haben darüber hinaus im Verkehrsversuch und auf den Referenzstrecken Beeinträchtigungen durch parkende Kfz sowie durch Busse erfasst. Dabei wurden 138 Kilometer im Verkehrsversuch und 162 Kilometer auf den Referenzstrecken zurückgelegt. Daraus und aus der unterschiedlichen Taktdichte errechnen sich 30 Buskontakte im Verkehrsversuch und 23 Kontakte auf den Referenzstrecken.

23 Beeinträchtigungen durch parkende Kfz waren im Verkehrsversuch zu verzeichnen, 30 auf den Referenzstrecken. Mit einer Rate von 0,17 Beeinträchtigungen je Kilometer im Verkehrsversuch und 0,19 Beeinträchtigungen je Kilometer auf den Referenzstrecken sehen wir keinen signifikanten Unterschied zwischen dem Verkehrsversuch und den Referenzstrecken.

Bei den Beeinträchtigungen durch Busse handelt es sich weit überwiegend um zu dichtes Auffahren (< 10 m) oder um Überholen mit zu geringem Abstand (< 1,50 m). 8 Beeinträchtigungen waren im Verkehrsversuch festzustellen, 11 auf den Referenzstrecken. Mit einem Anteil der kritischen Kontakte von 27% schneidet der Verkehrsversuch etwas besser ab als die Referenzstrecken mit insgesamt 42%. Aufgrund der geringen Differenz der Wegegeschwindigkeit zwischen Radfahrenden und Bussen ist allerdings die Zahl der Kontakte zu gering für eine definitive Aussage.

Insgesamt ergibt sich für die Beeinträchtigungen durch parkende Kraftfahrzeuge und durch Busse eine Gesamthäufung von etwa einem Ereignis je 4 Kilometer Fahrstrecke. Das gilt sowohl für die Referenzstrecken als auch für den Verkehrsversuch.

Falsche Nutzung des Seitenraums

Darüber hinaus haben wir Fehlnutzungen des Seitenraums durch Radfahrende erfasst, also nur in Abschnitten mit Fahrbahnbenutzungspflicht für alle Radfahrenden. Von 398 beobachteten entgegenkommenden Radfahrenden nutzten 343 den Radstreifen, 55 den Seitenraum; das entspricht einer Akzeptanzquote von 86%.

Annähernd zeitgleich mit der beschriebenen ersten Phase des Verkehrsversuchs fand der Fahrradklima-Test 2022 des ADFC statt. Zahlreiche Teilnehmer an dieser Befragung äußerten sich in Klartextform zum Verkehrsversuch Fackenburger Allee. Die Kommentare fielen unterschiedlich aus: ein Drittel der Kommentare äußerte sich positiv, zwei Drittel der Äußerungen waren eher negativ.

Schlussfolgerungen

Seit Ende September 2024 liegt auch der finale Evaluationsbericht der Hansestadt Lübeck zum Verkehrsversuch vor. Danach erhöhte sich während des Versuchs die Wegegeschwindigkeit des Radverkehrs. Die Zahl der Radfahrenden nahm während des Verkehrsversuchs zwar geringfügig zu, höher war allerdings der Zuwachs an den Vergleichsmesspunkten außerhalb des Verkehrsversuchs. Das Unfallrisiko für Radfahrende blieb unverändert. Der Verkehrsfluss des motorisierten Verkehrs blieb weitgehend unbeeinträchtigt.

Aus den genannten Messergebnissen und Beobachtungen zieht der ADFC Lübeck die folgenden Schlussfolgerungen:

  • Eine zweistreifige Führung des individuellen Kfz-Verkehrs auf der Fackenburger Allee ist möglich.
  • Die angeordnete Fahrbahnnutzung wurde von den Radfahrenden überwiegend befolgt.
  • Überholvorgänge mit zu geringem Abstand sind der bei weitem häufigste Risikofaktor für Radfahrende auf ungeschützten Fahrbahnführungen. Das gilt ausdrücklich auch für den Verkehrsversuch.
  • Der Straßenzug Fackenburger Allee / Krempelsdorfer Allee ist Teil der Veloroute HL 01. Diese Veloroute war vor dem Verkehrsversuch die zweitschlechteste von 67 untersuchten Velorouten in der Hansestadt Lübeck. Trotzdem waren die Bewertungen der nutzenden Radfahrer für den Verkehrsversuch mehrheitlich negativ; das Unfallgeschehen war nicht rückläufig. Saisonbereinigt nahm die Zahl der Radfahrenden sogar leicht ab; demgegenüber war im Verkehrsversuch Beckergrube bereits nach kurzer Zeit eine deutliche Zunahme des Radverkehrs zu verzeichnen. Damit ist festzustellen, dass die gewählte Versuchsanordnung an dieser Stelle nicht geeignet ist. Auf stark befahrenen Straßen ist eine geschützte Führung des Radverkehrs unverzichtbar; für die Einrichtung einer solchen Führung ist auf der Fackenburger / Krempelsdorfer Allee ausreichend Platz vorhanden.
  • Die gemeinsame Führung von Radfahrenden und Linienbussen auf einem Fahrstreifen von 3,25 m Breite hat sich wahrscheinlich bewährt, auch wenn die Zahl der erfassten Interaktionen zwischen Radfahrenden und Bussen für eine definitive Aussage zu gering war. Eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h würde die Zahl der Interaktionen auf solchen gemeinsamen Fahrstreifen weiter senken, deshalb empfiehlt der ADFC die weitere Erprobung solcher Fahrstreifen an geeigneten Stellen.
  • Der Verkehrsversuch Fackenburger Allee hat wichtige Erkenntnisse geliefert, die für die weitere Mobilitätsplanung in der Hansestadt Lübeck und darüber hinaus sehr hilfreich sein können. Insofern sieht der ADFC diesen Versuch als lohnend an, auch wenn die gewählte Gestaltung sich an dieser Stelle als nicht geeignet erwiesen hat.

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